Tour in den Norden I

Wie an anderer Stelle bereits beschrieben wurde, unternahm ich im Auftrag meiner Masterarbeit ein paar Reisen in unterschiedliche Landesteile, um der differenzierten Erinnerungskultur Thailands bezüglich des Zweiten Weltkriegs auf die Schliche zu kommen.

Die längste Reise dieser Art führte mich in den Norden, genauer gesagt in die Orte Phrae und Khun Yuam, wo mich ganz unterschiedliche Versionen der Ereignisse erwarten sollten. Die Unternehmung begann am Busbahnhof Mo Chit, wo ich am Abend den Bus nach Prae bestieg. Die Fahrt war in jeder Hinsicht hervorragend. Ich schlummerte in einem übergroßen und sehr bequemen Liegesessel, der kurioserweise bei Bedarf sogar meinen Rücken massierte, gemächlich meinem ersten Reiseziel entgegen.

In Prae galt mein besonderes Interesse einem Museum über die dortige Seri Thai Bewegung. Dies war eine thailändische Widerstandsgruppe während des Zweiten Weltkriegs, die sich gegen die japanische Besetzung des Landes und die mit den Japanern paktierende Regierung Thailands stellte. Sie infiltrierte, spionierte und sabotierte die Japaner wo sie nur konnte und stand in enger Verbindung mit den westlichen Alliierten. Viele Mitglieder der Untergrundbewegung wurden nach dem Krieg, als Thailand für einige Jahrzehnte unter die autokratische Kontrolle des Militärs geriet, verurteilt und verhaftet. Die Erinnerung an diese Bewegung wurde zeitgleich aus dem offiziellen Gedächtnis verbannt und findet erst langsam wieder ihren Weg zurück in das öffentliche Bewusstsein. Nicht unschuldig an dieser Entwicklung soll auch das Museum in Prae sein, weshalb ich umso gespannter war es zu besichtigen.

Da das Museum seine Pforten erst um acht Uhr öffnet, ich aufgrund meines Überschallbusses aber schon um sechs Uhr morgens angekommen war, hatte ich noch ein wenig Zeit die Stadt zu erkunden. Ich schlurfte durch das gerade erwachende Phrae und war von dessen Schönheit reichlich beeindruckt. Es mag an meinem dämmrigen Zustand gelegen haben, aber es wirkte für mich, als reihten sich hier ausschließlich wunderschöne bis zauberhafte Teakholzhäuser aneinander, eines schöner als das andere.

Eines dieser Häuser, das leider in keinem ganz so guten Zustand war wie seine Nachbarn, erwies sich als für mein Thema hochinteressant. In dem so genannten Wichairacha Haus hatte sich eine Tragödie abgespielt, die typisch ist für die jahrzehntelange Verdrängung der Geschichte der Seri Thai Bewegung. Sein Ursprünglicher Besitzer Chao Wong Saensiriphan hatte im Jahr 1940 für einige Wochen einen sehr berühmten Gast, den damaligen Finanzminister und späteren Kopf und Lenker der Seri Thai Bewegung Pridi Banomyong. Dieser verbrachte einige Zeit in Prae um die Dreharbeiten zu seinem Film „The King of the White Elphant“ zu begleiten. Mit dem Film und dem gleichnamigen Buch wollte Pridi ein Zeichen setzen. In den unsicheren Zeiten des beginnenden Weltkriegs sollten sich seine Landsleute und vor allem deren Entscheidungsträger, an die Besonnenheit und Weisheit früherer Könige erinnern und in den kommenden Konflikten Ruhe und Neutralität bewahren.

Wie der Verlauf der Geschichte zeigte, konnte Pridi mit seiner Botschaft nicht alle Thailänder überzeugen. Der damalige Ministerpräsident Phibul Songgram, ein außerordentlicher Bewunderer Mussolinis und Verfechter eines thailändischen Ultranationalismus, wähnte in der Allianz mit Japan eine günstige Gelegenheit seine Träume eines „Großthailands“ zu verwirklichen. Nach dem Krieg und einem Militärputsch im Jahr 1946 gerieten Pridi und seine Unterstützer in Ungnade. Auch der Besitzer des Wichairacha Hauses musste Repressalien der Militärführung über sich ergehen lassen. In der Folge verlor er all sein Hab und Gut und das ehemalig prachtvolle Teakholzhaus verfiel und verwilderte mit der Zeit.

Von dieser tragischen Geschichte betrübt machte ich mich Richtung des Seri Thai Museums auf. Dieses wird von dem Sohn eines engen vertrauten Pridis und Anführers der lokalen Seri Thai Einheiten betrieben. Das Museum schildert die Geschichte der Seri Thai Bewegung und konzentriert sich vor allem auf die Aktivitäten der Truppe im Norden Thailands. Hierbei werden auch verschiedene Einzelschicksale vorgestellt. Unter anderem wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der sich in ein japanisches Lager, als Arbeiter getarnt, einschlich und Informationen über die japanische Armee nach draußen schmuggelte.
Ein anderes Beispiel schildert die beschwerliche Reise eines Boten, der wichtige Informationen von Prae nach Bangkok transportierte und den größten Teil der Wegstrecke, immer die Angst im Nacken von den Japanern entdeckt zu werden, auf einem alten Fahrrad hinter sich brachte. Trotz der Fokussierung auf die Untergrundbewegung bleibt die Darstellung des Museums weitestgehend ausgeglichen und bietet verschiedene Perspektiven auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs an.

Nach der Besichtigung des Museums bekam ich glücklicherweise die Gelegenheit mit dem Betreiber des Museums zu sprechen. Dieser berichtete mir, dass inzwischen Schüler und Studentengruppen aus dem ganzen Land in sein Museum kämen und die Aufmerksamkeit für die Geschichte der Seri Thai Bewegung spürbar zunehme. Dennoch sei es nicht selten der Fall, dass die Besucher ohne jedes Vorwissen über die Seri Thai Bewegung und seine Protagonisten das Museum betreten.

Nach der Besichtigung des Museums machte ich mich in Richtung des Busbahnhofs auf, wo mich ein etwas in die Jahre gekommener aber ganz passabeler Bus erwartete, der mich in das etwa fünf Stunden entfernte Chiang Mai bringen sollte. Die Fahrt erwies sich als unangenehmer und anstrengender als gedacht. Der Bus ächzte und stöhnte ob der unzähligen Serpentinen der nordthailändischen Berge und schüttelte seine Insassen ordentlich durch. Dementsprechend derangiert erreichte ich dann gegen Nachmittag die Rose des Nordens, Chiang Mai. Hier war kein weiterer Museumsbesuch geplant. Dieser Aufenthalt sollte lediglich dazu dienen die von den Strapazen der Reise ein wenig müden Knochen zu schonen und für die anschließende Reise nach Khun Yuam vorzubereiten.

Die Stadt Chiang Mai hatte ich bereits zwei Jahre zuvor kurz besichtigt. Es ist nach Bangkok die zweitgrößte Metropole Thailands und verfügt über ein etwas kühleres Klima, da sie von hohen Bergen umgeben liegt. Mir ist die Stadt ein wenig zu sehr von den westlichen Touristen und der auf sie zugeschnittenen Geschäfte und Systemgastronomie geprägt. Eine schmerzhafte und wirklich bittere Erkenntnis war es für mich zudem festzustellen, dass mein romantisches Bild dieser Stadt, welches mir das ARD Traumhotel vorgegaukelt hatte, ein einziges Lügenkonstrukt ist. In dieser fürchterlichen Schmonzette flanieren die bräsigen „Schauspieler“ und D-Promis durch die Straßen von Chiang Mai, sagen dabei so geistreiche Sätze wie „mai pet, mai aroi  (nicht scharf, nicht lecker) und ruhen sich anschließend vom vielen Bummeln an einem wunderschönen Strand aus. Und das obwohl Chiang Mai fast 700 Kilometer von der Küste entfernt liegt. Danke liebe ARD für diesen Quatsch!

Ich wusste also, dass ich den Strand vergeblich suchen würde und entschied mich stattdessen den Night-Bazar zu besuchen, wo ich mir von den unterschiedlichen Ständen das Abendessen zusammenklaubte. Ich entschied mich für etwas Klebreis, einen scharfen Huhnminzkoriandersalat und zwei der köstlichen nordthailändischen Würste. Diese sind, anders als die Würste auf den Märkten Bangkoks, nicht so sauer und weich, sondern haben genau die richtige Konsistenz und schmecken nach Thaibasilikum und Ingwer. Köstlich.

Nach diesem reichhaltigem Mal und zwei Leo Bier kehrte ich zurück zu meinem mittelmäßigen Hotel und ging früh schlafen. Der Bus nach Khun Yuam sollte morgens um sechs losfahren und die Fahrt durch die Berge wurde mir als etwas anstrengend beschrieben. Ich ahnte ja nicht was vor mir liegen würde…