Verwirrte Motorradfahrer, verwunschene Tempel und das Crème Carameldesaster – Drei Tage in Siem Reap

In der Absicht die sagenumwobenen Tempelanlagen von Angkor endlich mit eigenen Augen begutachten zu können, besuchte ich vor kurzem für drei Tage Siem Reap in Kambodscha. Der Name Siem Reap bedeutet so viel wie „Ort der Niederlage der Siamesen“ und bezieht sich auf eine siegreiche Schlacht der Khmer gegen ein Heer Ayutthayas im 17. Jahrhundert. Dass auch ich hier eine empfindliche persönliche Niederlage würde erleiden müssen, konnte ich am Beginn meiner kleinen Reise noch nicht erahnen.

Die Stadt Siem Reap erstreckt sich zu beiden Seiten des gleichnamigen Flusses und verfügt, vor allem entlang des alten Marktes, über einige sehenswerte Überbleibsel der französisch-kolonialen Vergangenheit. Obschon der recht massive touristische Einfluss an kaum einer Stelle zu übersehen ist, versprüht die Stadt doch eine angenehme und entspannte Atmosphäre. Dieser Eindruck wurde durch die mehrheitlich wirklich zuckersüßen Menschen verstärkt, die fast alle sehr freundlich und hilfsbereit waren und nicht selten über außerordentlich passable Englischfähigkeiten verfügten. Auch in den Restaurants und im Hotel begegnete mir ausnahmslos nettes, höfliches und aufmerksames Personal, welches jedoch gelegentlich etwas zu bemüht und aufgeregt war. Nicht selten wirkte es so, als ob die komplette Belegschaft exakt einen Tag zuvor einen Kurs in korrektem Kundenumgang absolviert hätte und im Kopf immer noch Verhaltensregeln duchging.

Nach der Ankunft unternahm ich einen ersten kleinen Rundgang durch die Stadt. Hierbei passierte ich die üblichen Grüppchen von Motorrad- und Tuk-Tuk-Fahrern, die im Schatten großer Bäume, entspannt vor sich hindösend und plaudernd, auf Kundschaft warteten. Es folgte das traditionelle, sich ewig wiederholende monotone immer gleiche Spielchen. Sie riefen: „Sir sir, Tuk-Tuk sir“, woraufhin ich höflich antwortete: „Ich bedauere zutiefst, werter Herr. Leider habe ich derzeit keinen Bedarf an der von Ihnen offerierten Transportmöglichkeit. Ich möchte Ihnen aber dennoch vielmals für dieses derart reizende Angebot danken“ und ging weiter meines Weges. Am Ende der Gruppe stand ein junger Mann mit lustigem Schnauzer an sein Motorrad gelehnt, tief konzentriert und versunken auf sein Smartphone blickend. Als ich an ihm vorbeiging, schaute er kurz auf und rief nur halb anwesend, wenig motiviert aber deutlich hörbar: „Tuk-Tuk Sir“. Ich blieb kurz stehen, guckte erst ihn, dann sein Motorrad und dann wieder den jungen Mann verwundert an. Er folgte meinem Blick, begann schüchtern zu kichern und fragte schließlich: „Motorbike Sir“?

Da die Tempeltour morgens früh um 5 beginnen sollte, verbrachte ich den Abend wenig spektakulär bei einheimischem Bier und Curry und ging früh schlafen.

Die beiden Tage, die ich kletternd, schwitzend und vor allem staunend in den weitläufigen Tempelanlagen verbrachte, übertrafen dann meine ohnehin schon hohen Erwartungen. Angefangen bei den prächtigen Pagoden, die sich zart beleuchtet durch das Morgenlicht im Seerosenteich spiegelten, über die riesigen steinernen Gesichter, die erhaben auf die Landschaft und die wuselnden Touristenscharen herabblickten, bis hin zu den unglaublich detaillierten Steinreliefs und Skulpturen. All das war wirklich derart beeindruckend, dass ich die Massen an chinesischen Reisegruppen, deren Mitglieder sich unter zur Hilfenahme aller Gliedmaßen, in völliger Ignoranz anderer Besucher, ihren Weg durch die Warteschlangen bahnten, beinahe ignorieren konnte.

Besonders imposant waren die kleineren etwas weniger überlaufenen Tempel, bei welchen der Zahn der Zeit und die Natur ihre Spuren hinterlassen hatten. Zum Teil stark zerfallen, von Moos bedeckt und überwachsen und durchdrungen von den Wurzeln großer Bäume, offenbarten diese Tempel eine verwunschene, beinahe mystische Atmosphäre. Stundenlang zwängte ich mich durch enge Gänge und verbogene Tore und balancierte an Mauerüberresten vorbei. Beinahe fühlte ich mich wie Harrison Ford auf der Suche nach verlorenen Schätzen, doch machte der sehr freundliche Tuk-Tuk-Fahrer, der geduldig am Ausgang jedes Tempels wartete und mich bequem zum nächsten Abenteuer kutschierte, jedes Indiana-Jones-Gefühl zunichte.

Am Abend meines letzten Tages in Siem Reap ereignete sich die bereits angedeutete ganz persönliche Niederlage. Ich hatte mich für ein kleines gemütliches Restaurant direkt am Flussufer entschieden und bereute diese Wahl zunächst auch nicht weiter. Neben dem ganz passablem Anchor Bier bestellte ich ein vorzügliches Curry mit Fisch, der, so wurde mir versichert, noch des Morgens im nahen Tonle Sap See geplantscht hatte. Dann plötzlich, mein Herz begann abrupt zu rasen, entdeckte ich auf der Karte als Nachspeise Crème Caramel an Banane und Süßkartoffel. Ich dachte mir noch, das ist ja eine etwas mutige Kombination, aber nun gut, die werden schon wissen, was sie tun.

Nun sollte ich dazu sagen, dass mich mit dieser Nachspeise eine mindestens 25-jährige tiefe und innige Freundschaft verbindet. Einst an der wunderschönen Cote d’Azur kennen- und lieben gelernt, verloren wir einander niemals ganz aus den Augen. Und mochte auch die Zeit der Trennung manchmal Monate oder gar Jahre dauern, stets fanden wir wieder zu einander. Dieses wahrlich köstliche Nachspeisengedicht aus Ei, Milch und Zucker funktioniert bei mir wie eine Art Raum-Zeit Portal, welches mich direkt in ein Paraleluniversum der kulinarischen Glückseligkeit meiner Kindheit katapultiert.

Es mag also sein, dass meine Erwartungshaltung etwas übertrieben, unrealistisch und vielleicht sogar auch unverschämt war. Dennoch empfand ich das, was mir nun bald als vermeintliche Crème Caramel kredenzt wurde als eine maßlose Beleidigung meines Gaumens, eine niederträchtige Frechheit sondergleichen. Auf dem Teller vor mir lagen vier Stücke trockene Kartoffel und zwei kleine Bananen, die mit etwas braunem Zucker benässt worden waren. Von Crème Caramel keine Spur! Am liebsten hätte ich der Bedienung den Teller vor die Füße gepfeffert und wäre wutschnaubend aus dem Lokal gestampft. Doch der junge Mann guckte so nett und unschuldig, während er mir diese Anmaßung servierte, dass ich meine Wut mitsamt der trockenen Kartoffel und reichlich Bier hinunterwürgte. Tief enttäuscht ging ich bald darauf zu Bett und beschloss, mich langsam in den Schlaf schluchzend, diese Stadt ja dieses Land nie wieder auch nur mit einem Zeh zu betreten.

Kambodscha muss in dieser Nacht von meinen bitteren Gefühlen erfahren und beschlossen haben, sich bei mir in aller Form zu entschuldigen. Denn am nächsten Tag entdeckte ich, nur Minuten vor meiner Abreise, eine kleine unscheinbare Bäckerei, die vielerlei Köstlichkeiten im Angebot hatte, die ich eher in einem kleinem französischem Dorf oder den Requisiten des Films Chocolat vermutet hätte. Ich entschied mich für zwei kleine Tartes, eine mit einer Nougat Creme und eine mit Apfelstücken belegt. Der Teig schmeckte leicht zimtig und ging zusammen mit der Füllung eine himmlische Melange ein, die mich die Crème Caramelpleite beinahe vergessen ließ. Mit diesem vorzüglichem Proviant im Gepäck ging es wieder gen Thailand und ich beschloss, Kambodscha seinen groben Schnitzer zu verzeihen und in der Zukunft eventuell eine zweite Chance zu gewähren.

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