Der zweite Teil meiner kleinen Reise in den Norden Thailands, die zum Ziel hatte die unterschiedliche Darstellung des Zeiten Weltkriegs in den verschiedenen Museen unter die Lupe zu nehmen, begann früh morgendlich am Busbahnhof von Chiang Mai.
Nachdem ich Tags zuvor bereits das sehr eindrucksvolle Seri Thai Museum in Prae besichtigt hatte, sollte es nun in das kleine Bergdorf Khun Yuam gehen. Dieses liegt ganz im Nordwesten des Landes, unweit der Grenze zu Myanmar. In dieser Region waren während des Zweiten Weltkriegs viele Japanische Soldaten stationiert. Khun Yuam fungierte als eine Art Ausgangsbasis für die Expeditionen nach Burma. Anders als in vielen Regionen des Landes wurden die Japaner hier von der einheimischen Bevölkerung jedoch nicht als Feinde oder Eindringlinge wahrgenommen. Die vorher teilweise marginalisierte Bevölkerung war den Japanern gegenüber deutlich aufgeschlossener als anderorts. Es entwickelten sich profitable Handelsbeziehungen, Freundschaften und in einigen Fällen sogar Liebesbeziehungen zwischen Thailändern und Japanern. Das Thai-Japanese-Friendship-Memorial Museum schildert die Erfahrungen dieser Menschen, zeigt auf diese Weise eine ganz andere Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg und hatte daher mein Interesse auf sich gezogen.
Obwohl Chiang Mai nur etwa 300 Kilometer von Khun Yuam entfernt liegt, ist die Reise zwischen diesen beiden Orten äußerst umständlich, versperren doch etliche hohe Berge die Passage. Lediglich eine Buslinie macht sich dreimal am Tag auf diese beschwerliche Reise. Ich wusste vorher, dass diese Ochsentour sieben Stunden dauern sollte. Ich wusste allerdings nicht, dass hierbei Busse eingesetzt werden, die ungefähr in dem Jahr gebaut wurden als Christopher Columbus Amerika entdeckte. Ein uralter, vom Rost zerfressener Haufen Altmetall, sollte mich und die anderen etwa vierzig Reisenden sicher ans Ziel bringen. Das konnte nicht gut gehen. Ging es schlussendlich auch nicht. Aber immer der Reihe nach.
Zunächst machte sich der Schrotthaufen in vollem Tempo, als wolle er meiner Skepsis ein Schnippchen schlagen, eifrig ans Werk und auf die Reise. Zügig ging es aus der Stadt heraus und hinein ins Gebirge. In Ermangelung einer Klimaanlage oder funktionierender Ventilatoren waren während der Fahrt fortwährend beide Türen geöffnet. Dies förderte zwar frische Luft ins Wageninnere, erschien mir aber angesichts der unruhigen Fahrweise des Busses etwas riskant. Überhaupt schien der Bus mit den vielen Serpentinen und den steilen Hängen seine liebe Not zu haben. Er fauchte und ächzte, stöhnte und spuckte was das Zeug hielt. Angesichts des Geräusches des Motors hätte man bei geschlossenen Augen denken können der Wagen führe in affenartiger Geschwindigkeit die Berge hinauf. Bei offenen Augen sah man aber, dass der Bus trotz des schrecklichen Getöses keine zwanzig Stundekilometer mehr auf die Piste brachte. Zu allem Unglück entwickelte das Gefährt plötzlich die Angewohnheit alle fünf Minuten stehen zu bleiben. Das waren keine all zu guten Vorzeichen, waren wir doch gerade mal zwei Stunden unterwegs.
Nachdem sich der Bus noch eine weitere Stunde lang in Schrittgeschwindigkeit die steilen Hänge hoch gemüht hatte, kam er an einer kleinen Lichtung endgültig zum stehen. Der sichtlich zerknirschte und beschämte Busfahrer erklärte nach einem kurzen Blick auf den Motor, dass dieser Bus nicht weiterfahren könne. Wir sollten auf den nächsten Bus warten, der in etwa zwei Stunden diese Stelle passieren müsse. Diese Nachricht schockierte mich nicht sonderlich. Es war schon vorher abzusehen, dass diese Schrottkiste die etwa 150 Kilometer bis nach Khun Yuam nicht mehr würde bewältigen können. Ich war zudem froh ein wenig an die frische Luft zu kommen und begann die Landschaft zu erkunden. Die Lichtung an welcher der Bus endgültig seinen Dienst eingestellt hatte, bestand nicht wie die Wälder weiter bergab aus tropischem Regenwald. Vielmehr erblickten meine ungläubigen Augen, dass sich hier etliche Tannen aneinander reihten, vor denen einige duzend Kühe friedlich auf einer saftig grünen Wiese grasten. Ich wähnte mich eher im Schwarzwald als in Thailand. Dass dies doch nicht der Schwarzwald war erkannte ich, als mir auf einer kleinen Erkundungstour eine etwa handgroße, giftig bunt glitzernde Riesenspinne begegnete. Ich zog mich vorsichtig zurück und war von nun an weniger erkundungslustig.
Als der nachfolgende Bus endlich eintraf entpuppte sich dieser äußerlich als etwas robuster und rüstiger als sein Vorgänger. Unglücklicherweise war er jedoch bereits vollkommen mit Passagieren vollgestopft. Die kommenden drei Stunden verbrachte ich stehend, in leicht gekrümmter Haltung, einzig damit beschäftigt die ständigen Richtungswechsel des Busses mit meinem Körpergewicht auszugleichen, um nicht auf die vor mir platzierten Thais zu stürzen. Meine Hände füllten sich mit der Zeit ganz taub an, so fest krallte ich mich an die Haltegriffe. Meine Knie wiederum begannen ob der unnatürlichen Haltung die ich ihnen zumutete einen stechenden Schmerz an mein Gehirn zu senden mit der klaren Botschaft: Mach etwas oder wir platzen! Nach einiger Zeit lehrte sich der Bus ein bisschen und ich konnte den Rest der Fahrt sitzend verbringen.
Etwa gegen halb fünf war die Tortour überstanden und der Bus endlich in Khun Yuam angekommen. Zeit meine Wunden zu lecken bestand kaum, hatte das Museum laut meiner Informationen doch nur noch eine halbe Stunde geöffnet. Ich machte mich also umgehend zu dem Museumsgelände auf. Als ich dort angekommen war, hatte ich zunächst Zweifel am richtigen Ort zu sein. Das eindrucksvoll große und neu glänzende Museumsgebäude stimmte nicht mit den Bildern überein, die ich vorher mühsam im Internet zusammengesucht hatte. Es stellte sich heraus, dass das alte Museum, welches sich auf demselben Gelände befunden hatte, geschlossen und durch ein komplett neues Museum ersetzt worden war. Das ursprüngliche Museum war von einem Einheimischen eröffnet und von dem japanischen Staat reichlich und nicht ganz uneigennützig gefördert worden. Soweit ich gehört und gelesen hatte, wurde hier früher eine Version des Zweiten Weltkriegs präsentiert, in welcher die Japaner durchweg in einem positiven Licht dargestellt wurden, als Befreier ihrer asiatischen Brüder und Schwestern.
Das neue Museum, das vom thailändischen Fine Arts Department getragen wird, verfügt nicht nur über ein ästhetisch sehr ansprechendes Design, sondern präsentiert auch eine deutlich ausgewogenere Sicht der Dinge. So werden die Umstände der japanischen Expansion nüchtern und umfassend erläutert, ohne in die revisionistischen Töne des Vorgängers zu verfallen. Gleichzeitig finden aber auch die Erinnerungen der Dorfbewohner und ihre positiven Erfahrungen mit den Japanern genug Beachtung. Einige Beispiele des positiven Zusammenlebens werden hervorgehoben und besonders detailliert beschrieben. Besonders der Film, der in einem extra Raum gezeigt wird, geht auf die Erinnerungen der Bewohner Khun Yuams ein. Hier werden Ausschnitte aus Interviews mit Zeitzeugen gezeigt, unter ihnen auch eine Dame, die sich in einen der japanischen Soldaten verliebte und von diesem zwei Söhne bekam.
Von den Reisestrapazen mittlerweile völlig erschöpft, suchte ich mir bald nach dem Museumsbesuch ein kleines schnuckeliges Hotel. Es war in einem alten Holzhaus untergebracht und lag direkt am Hang. Die Sicht auf die umliegenden Berge war großartig.
Am nächsten Tag besichtigte ich den Tempel Wat Muay Tor, auf dessen Gelände sich während des Zweiten Weltkriegs ein Krankenhaus für die verletzten japanischen Soldaten befunden hatte. Es fanden sich hier ein paar Gräber mit japanischen Inschriften, sowie ein erst im letzten Jahr errichtetes Denkmal, dass an die verstorbenen japanischen Soldaten erinnert und die Unterstützung durch die Dorfbewohner hervorhebt.
Um fünf Uhr Nachmittags bestieg ich den Bus, der mich in einer Fahrt von fünfzehn Stunden wieder nach Bangkok bringen sollte. Es war ein nagelneuer Dopperldecker, dessen Luxuseinrichtung einen krassen Gegensatz zum Gefährt des Vortags darstellte. Doch auch dieser Luxusschlitten hatte mit dem unwegsamen Gelände so seine Probleme. Eine extrem heftige Steigung machte ihm besonders zu schaffen. Nachdem er an dieser zwei Mal gescheitert war, stieg der Busbegleiter aus und bugsierte zwei riesige Steine hinter die Hinterräder des Busses. Mit dieser kleinen Starthilfe erklomm der Bus schließlich die Rampe. Der Busfahrer wollte wohl kein weiteres Risiko eingehen und fuhr bis zum Berggipfel in einer Tour durch, ohne auf den Reisebegleiter zu warten. Ich konnte aus dem Fenster sehen, wie dieser einige Kehren unter dem Bus einen Spurt einlegte. Es sah recht lustig aus, wie er sich in seiner samtigen Uniform mit hochrotem Kopf den Berg hinaufquälte. Mit diesem Bild im Kopf schlief ich ein und wurde im Massagesessel gemächlich nach Bangkok kutschiert.