Es war ein warmer, sonniger, aber leider auch recht stickiger Märztag. Ich hatte einige Stunden in der Bibliothek der Silpakorn Universität in Nakhon Pathom vor mich hin recherchiert und wollte mir auf dem Markt in der Nähe des Phra Pathom Chedis noch eben mein Abendessen zusammenkaufen. Während ich darauf wartete, dass das bestellte Pad Thai fertig wurde, entschloss ich mich kurzerhand noch einen kleinen Nachtisch zu erstehen.
Thailändische Süßigkeiten sind nicht jedermanns Sache. Zum einen sind diese häufig wirklich so schreiend süß, dass man nach ihrem Verzehr einen akuten Zuckerschock fürchtet. Zum anderen ist die Zusammenstellung der einzelnen Komponenten, nach europäischen Maßstäben gemessen, drücken wir es mal vorsichtig aus, zumindest sehr mutig. So enthält das köstliche Kokosnusseis traditionell Gemüsemais, grüne Mangos werden grundsätzlich mit einem Dipp aus Zucker, Salz und Chilis serviert und die fantastische Eierspeise Mor Geng findet gelegentlich ihre Veredelung in Form von gerösteten Zwiebeln.
Ich für meinen Teil bin aber ein großer Anhänger dieser klebrigen Köstlichkeiten, weshalb ich an besagten Abend recht zielstrebig auf einen Stand zueilte, der genau diese Art von Nachspeisen anbot. Ich entschied mich für Mor Geng, eine Art thailändische Crema Catalana, die aus Ei, Zucker und Kokosnussmilch hergestellt wird und die einst von den Portugiesen ins Land gebracht wurde. Das Verkaufsgespräch führte ich mit einer jungen Dame, in für mich sensationellem Thai. So gut hatte ich selten mein Essen bestellt. Von diesem Erfolgserlebnis völlig beseelt, schlenderte ich zurück.
Ich hatte noch keine vier Meter hinter mich gebracht, als ich aus dem Augenwinkel sah, dass die nette Dame vom Süßigkeitenstand hinter mir herlief. Ich befürchtete schon das Schlimmste. Wahrscheinlich hatte ich sie mit meinem „sensationellen“ Thai zutiefst beleidigt und sie wollte jetzt an mir Rache nehmen. Oder ich hatte ihr versehentlich meine Liebe gestanden. Wäre ja schließlich nicht das erste Mal…
Ihr Anliegen war jedoch von ganz anderer Natur. Aufgrund meines äußeren Erscheinungsbildes, dass ich in Zukunft eventuell überdenken sollte, hielt sie mich für einen Englischlehrer und fragte, ob ich ihr nicht, privat etwas Unterricht geben könnte. Instinktiv lehnte ich ab, bin ich doch weder Lehrer noch Engländer, doch siegte schlussendlich die Neugierde und ich sagte ihr, dass wir das gerne mal ausprobieren könnten. Freudestrahlend kehrte sie zum Stand ihrer Mutter zurück, an welchem sie in den Semesterferien gelegentlich aushalf, wie sie mir vorher berichtet hatte.
Zwei Tage später stand ich, wieder in meinen Lehreroutfit, vor den Türen eines Cafés, wo die erste „Schnupperstunde“ stattfinden sollte. Als ein in Deutschland sozialisierter Mensch, war ich selbstredend pünktlich wie die Maurer dort eingetroffen, was man von meiner künftigen Schülerin leider nicht behaupten konnte. Die dreißig Minuten bis zu ihrem Eintreffen vertrieb ich mir aber genüsslich mit Hilfe zweier köstlicher Milk Teas. Als sie schließlich das Café betrat, gab es eine gehörige Überraschung: sie hatte noch eine Freundin mitgebracht, die ebenfalls darauf brannte, von mir „unterrichtet“ zu werden.
Beide Damen waren Anfang zwanzig, Studentinnen, zuckersüß, fast so sehr wie thailändische Nachspeisen, und offensichtlich sehr wissbegierig. Sie erwiesen sich als gleichermaßen freundlich wie geduldig und zu meiner großen Überraschung schienen meine stümperhaften Erläuterungen der englischen Sprache ihnen nicht nur zu gefallen, sondern auch weiterzuhelfen.
Da die Probestunde für beide Seiten somit recht erquickend verlaufen war, machten wir weitere Termine aus und trafen uns in der Folge mehrmals die Woche im National Museum Nakhon Pathom, in dessen Räumlichkeiten ich meinen „Unterricht“ ausrichten durfte.
Ich hatte großen Spaß an meinem neuen „Beruf“, bereitete mich akribisch auf die einzelnen Stunden vor und stellte mit großer Freude fest, dass die Beiden stetig Fortschritte machten.
Ich verfügte jedoch noch nicht über eine gültige Arbeitsgenehmigung, weshalb ich von den Beiden kein Geld für meine Dienste verlangen konnte. Thailändische Gefängnisse gelten nicht unbedingt als Luxushotels und Schwarzarbeit ist nicht gerade ein Kavaliersdelikt. Das mag dir lieber Leser als sehr „deutsch“ oder hasenfüßig erscheinen, doch ich sollte noch für meine Gesetzestreue belohnt werden. Warte nur ab!
Da ich keine monetäre Bezahlung annehmen konnte, überlegten sich meine beiden Schülerinnen eine andere Form der Vergütung. Nein, ich rede nicht von anzüglichen Schweinereien. Hier muss ich den Leser leider enttäuschen. Viel besser, es ging um Essen. Und was für welches!
Zum einen musste ich mir in der Zeit meiner Lehrtätigkeit keine Gedanken mehr um meinen Nachtisch machen. Wie bereits beschrieben, verkaufte die Mutter einer der Beiden auf dem Markt in Nakhon Pathom thailändische Süßigkeiten. Voller Freude über die Wissbegierde ihrer Tochter und den Arbeitseinsatz meinerseits, gab sie ihrer Tochter auf dem Weg zu meinem Unterricht stets eine großzügige Auswahl ihres Sortiments mit. Zum anderen luden mich die beiden Schülerinnen einige Male in ihre Lieblingsrestaurants ein, wodurch ich zu den reinsten kulinarischen Hochgenüssen gelangte.
Leider neigten sich irgendwann die thailändischen Semesterferien ihrem Ende entgegen, wodurch meine Tätigkeit als Englischlehrer ihr vorläufiges Ende fand. Vorläufig, denn man weiß ja nie, was beim nächsten Bummel auf dem Markt passieren wird.