Als der französische Autor Pierre Boulle im Jahr 1951 seinen Roman „Die Brücke über den Kwai“ veröffentlichte, hatte er mit seiner literarischen Darstellung des Eisenbahnbaus zwischen Thailand und Burma nur mäßigen Erfolg. Erst der sechs Jahre später erschienende gleichnamige Film von David Lean machte auch den Roman und seinen Autor weltweit bekannt. Der mehrfach Oscar-gekrönte Film brachte der Öffentlichkeit das Leid der alliierten Kriegsgefangenen vor Augen, die unter widrigsten Umständen und in kürzester Zeit, eine Eisenbahnlinie durch das unwegsame thailändisch-burmesische Grenzgebiet schlagen mussten.
Durch den Film neugierig gewordene Thailandtouristen, die sich zu Beginn der sechziger Jahre vermehrt nach Kanchanaburi aufmachten, um dort die Schauplätze des Films und vor allem die Brücke zu besichtigen, wurden in ihren Erwartungen jedoch zutiefst enttäuscht. Hatte doch das echte Kanchanaburi wenig mit dem des Films gemein, der im Übrigen gar nicht in Thailand sondern auf Sri Lanka gedreht wurde. Das Kanchanaburi Boulles und Leans lag verlassen, von jeder Zivilisation abgeschnitten, mitten im tiefsten Dschungel. Das echte Kanchanaburi war eine lebendige thailändische Kleinstadt am Fuße hoher Berge.
Dies wäre möglicherweise noch zu ertragen gewesen, hätte doch zumindest die Brücke selbst den eindrucksvollen Bildern Hollywoods standgehalten. Doch leider mussten die mittlerweile völlig desillusionierten Touristen feststellen, dass eine Brücke über den Kwai gar nicht existierte und auch niemals existiert hatte. Ja, nicht einmal einen Fluss namens Kwai hatte es je gegeben.
Um Pierre Boulle in Schutz zu nehmen sei erwähnt, dass er die armen Touristen nicht mutwillig in die Irre geführt hat. Er selbst war zwar während des Krieges in Südostasien stationiert und geriet auch in japanische Kriegsgefangenschaft. Am Bau der Eisenbahnstrecke war er jedoch nicht beteiligt und erfuhr von den Ereignissen durch Erzählungen anderer Kriegsgefangener. Boulle ging hierbei zweierlei heimtückischer Gefahren auf den Leim, dem „Stille Post Effekt“ sowie den Tücken der thailändischen Sprache.
Die Eisenbahnstrecke, die von den Kriegsgefangenen gebaut und deren Betrieb nach Kriegsende von der thailändischen Eisenbahngesellschaft wieder aufgenommen wurde, führt bei Kanchanaburi über den Fluss Maeklaung. An dieser Stelle befindet sich eine massive Brücke aus Beton und Stall, die ein ursprünglicher Teil der Strecke ist und welche die Bombardierungen der Alliierten relativ schadlos überstanden hat. Sie ist die einzige originale Brücke, die heute noch existiert.
Parallel zur Eisenbahnstrecke verläuft ein Nebenfluss des Maeklaungs, der Khwae Noi (kleiner Nebenfluss). Dieser folgt der Eisenbahnstrecke ein gutes Stück auf ihrem Verlauf und kommt ihr dort, wo sich heute die kleine Siedlung Chungkai befindet, sehr nahe. Hier befand sich zum Zeitpunkt des Eisenbahnbaus eine Böschung (Chong), die von Wasserbüffeln (Kwai) mit Vorliebe zum Trinken und für das abendliche Bad genutzt wurde. Für die Kriegsgefangenen waren die nuancellen Unterschiede der Wörter Khwae und Kwai nicht wahrnehmbar. Für sie wurde aus dem Fluss Kwae Noi der Fluss Kwai.
Die Eisenbahnstrecke und der Fluss Khwae Noi verlaufen in Richtung der burmesischen Grenze noch eine Weile nebeneinander her, ohne dass sich beide jemals kreuzen. Dort, in dem durch hohe Berge zerklüftetem, nahezu undurchdringbarem Dschungel, überquert die Eisenbahnstrecke einen Nebenfluss des Khwae Noi, den Fluss Song Khalia. An dieser Stelle spielten sich viele der Tragödien ab, welche den Bau der Eisenbahnlinie begleiteten und die zur Entstehung des Mythos des „Death Railways“ beitrugen. Von diesem Ort hatte Pierre Boulle gehört, über diese Ereignisse schrieb er seinen Roman. Der Name des Flusses war also durch die Ähnlichkeit der Wörter Khwae und Kwai, sowie die Verwechslung der Flüsse Kwae Noi und Song Khlai entstanden.
Dieses mag die etymologische und geographische Erklärung sein wie es dazu kommen konnte, dass Boulle einen Roman über einen Fluss schrieb, der niemals existiert hatte. Eine zufriedenstellende Lösung für die scheinbar vergeblich nach Kanchanaburi gereisten Touristengruppen war dies jedoch bei Leibe nicht.
Die thailändischen Behörden suchten daher nach einer Möglichkeit den enttäuschten Touristen doch noch etwas bieten zu können. Sie erinnerten sich der originalen Brücke über den Maeklaung, die ja tatsächlich von den Kriegsgefangenen für den Bau der Eisenbahnlinie errichtet worden war. Kurzerhand benannten sie den Flussabschnitt des Maeklaungs bei Kanchanaburi in Kwai Yai (großer Nebenfluss) und den Fluss Khwae Noi in Kwai Noi (kleiner Nebenfluss) um. Sie hatten somit die „historische Wahrheit“ überlistet und Pierre Boulle im Nachhinein doch noch recht gegeben. Nun gab es doch eine Brücke über den Kwai.
Wer nähere Informationen zu dieser kleinen Posse haben möchte oder sich generell für die Geschichte des „Death Railways“ interessiert, dem sei folgende Literatur ans Herz gelegt:
Beattie, Rod: The Death Railway. A brief history of The Thailand-Burma Railway, Kanchanaburi 2009.
Boggett, David: Notes on the Thai-Burma Railway. Part I: “The Bridge on the River Kwai” – The Movie, in: Journal of Kyoto Seika University Vol. 19 2000, p. 112-123.